ENTHÜLLUNGEN
AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG AM 25. 01. 2005
IN DER BUNDESFINANZAKADEMIE
Sehr verehrte Damen und Herren,
heute stehe ich wieder mit Begeisterung vor der durchaus eigensinnigen Paradoxie meines Berufes, dass ausgerechnet die Sprachkraft der Kunstwissenschaftlerin das Sprachlose der Kunst lobt.
In meinem ›Berufsdeutsch‹ kann ich Ihnen erklären, dass wir ein künstlerisches Werk sehen, welches uns einen Weg zur vollkommenen bildnerischen Verwirklichung der intensivierten Raumerfahrung als Metapher der Verinnerlichung und des Bewusstmachen des universellen Raumes zeigt.
Aber viel lieber möchte ich Ihnen erzählen, wie mich die demonstrative Geste Ciceros begeistert, wenn er die alte sakrosankte Fläche der Leinwand durch Aufreissen so unvermittelt provoziert, dass der reale Raum in sie eindringen kann.
Dezent könnte man von einem entschlossenen öffnen der Bildoberfläche sprechen.
Nein!
Er schneidet ihr den Bauch auf und ein Wunder der Verwandlung geschieht: wir sehen nicht einem Meuchelmord zu, sondern die Erscheinung des Raumes in seiner Fülle der Möglichkeiten eines Dahinterliegens öffnet sich uns. Die furchtlose Tat eines Künstlers macht kein Ende, sondern einen Anfang! …
An anderer Stelle durchstößt die Bibel eine Leinwand, von pfeilgleichem rotem Sprühen begleitet. Matthäus ist aufgeschlagen: Evangelist und Apostel zugleich und – Bundesfinanzakademie horche auf – von Beruf Zöllner, Schutzpatron der Steuer- und Zollbeamten! ...
Tiefe Löcher bohren sich in die übereinanderliegenden Leinwände und Gedanken werden gedacht, hinter die man keinen Punkt mehr setzen kann.
Diese Löcher, Schlitze und Verletzungen sind auch Durchbrüche durch die trennende Wand zwischen den Künsten Plastik und Malerei.
Daraus ergibt sich ihre Funktion als Gleichnis: Sie durchbrechen, durchlöchern, durchdringen in einer fast zeremoniellen Handlung die Wände in unserem irdischen Gefängnis.
Die gerissenen Leinwände waren ein. Annäherungsversuch, real zu verstehen, was ein Dahinter, Darunter oder Darüber im unbekannten Innern ist. Dabei stößt das Körperliche und das Konkrete auf das Namenlose und Geistige.
Cicero beginnt mit gewickelten, gerollten, gefalteten, geknüllten und gerafften Tüchern zu arbeiten. Die Wellen und Falten werfen Schatten, die auf sensible Art Raumtiefe schaffen. Er beginnt seine Werke mit Tüchern zuzudecken und zu verstecken, um sie dann wieder teilweise zu enthüllen.
Er möchte uns an das scheinbar Unsichtbare heranführen, ›denn das Meiste ist auf der Weit‹, sagt der Künstler ›und wir sehen es nicht!‹ Die eingepackten Leinwände leiten den Gedanken des Betrachters zu dem, was als die eigentliche Problematik impliziert zu sein scheint: nämlich den unbekannten Raum hinter der Leinwand, der geistig zu verstehen ist. Das Konkrete verliert seine Bedeutung und der Künstler schenkt uns die Möglichkeit, das Nichtsichtbare erfahrbar zu machen.
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Doch bang stellt sich dann doch die Frage: Riskiert man nicht bei dem Versuch, das Undurchsichtige der Existenz zu durchschauen und den Menschen dazu Schicht um Schicht freizulegen, ihn dabei zu vernichten?
Ciceros Antwort ist ein ironisches Rätsel, das er uns aufgibt, indem er uns mit seinen offenen Augen aus seinen tiefen Malschichten ansieht, wenn wir es beachten!
So stoßen wir in seinem Werk von einer Wahrheit zur nächsten Tür, machen die nächste Erfahrung, sind vielleicht enttäuscht, Leere kann uns umfangen, Möglichkeiten können sich ergeben oder Erfüllung ist uns vergönnt, Lösung und Begeisterung, all' dies können wir in seinem Werk finden. …
Also zählen Sie nicht die geschichteten Leinwände, suchen Sie nicht nach dem Bild hinter dem Bild. Es wird Ihnen nicht helfen.
Es geht nicht um schonungslose Offenlegung aller Schichten, nicht um die genaue Kenntnis aller Schnittstellen. Er macht Bilder und lässt uns vergessen, aus was sie gemacht sind. Er verwandelt und entmaterialisiert sie durch die Poesie seiner Kompositionen.
Kunsthistorische Etiketten treffen selten ins Schwarze. Das weiss ich wohl.
Sie sind Verständnisvokabeln, nicht mehr. Und ich hoffe, dass Sie mit meinen Vokabeln sich trauen, Ihre eigenen Enthüllungen mit Ciceros Werk zu erleben. …
Regina Caspers, Berlin (Auszug)